sturm lak

Am Mittwoch jährte sich das Eishockeyfinale der Olympischen Spiele 2018, bei dem die deutsche Nationalmannschaft unter Bundestrainer Marco Sturm fast Gold und am Ende sensationell Silber gewann, zum dritten Mal. Es war eines der Themen im folgenden Exklusivinterview des heutigen Assistenztrainers der Los Angeles Kings mit NHL.com/de am Donnerstag. Neben dem interessanten Blick in die Vergangenheit wurden aber auch aktuelle Themen angesprochen, unter anderem seine Aufgaben im Trainerteam, die derzeitige Erfolgswelle der Kings und wie er seinen Namensvetter Nico Sturm (Minnesota Wild) und Tim Stützle (Ottawa Senators) sieht. Nicht nur dort gab es einige überraschende Antworten.

Gestern war der dritte Jahrestag des olympischen Eishockeyfinales 2018, als ihr mit der deutschen Nationalmannschaft Silber gewonnen habt. Damals war stets die Rede davon, dass es Zeit brauchen werde zu realisieren und verarbeiten, was passiert ist. Sind drei Jahre genug Zeit?
Sturm: "Ich glaube fast nicht, so kommt mir das zumindest vor. Ich persönlich hatte in der Zwischenzeit viel anderes zu tun und bin kaum zur nötigen Ruhe gekommen. Bei mir ging es ja danach Schlag auf Schlag mit meinem Umzug nach Los Angeles. Ich blicke gerne und auch oft auf die schöne und gute Zeit mit der Nationalmannschaft zurück. Aber natürlich besonders an dieses Olympia 2018. Was wir da so erreicht haben, aber auch unabhängig davon, generell die Stimmung in der Mannschaft mit ihren unterschiedlichen Charakteren, die Begeisterung und der Teamgeist, die vorherrschten. Was dort mit dieser Mannschaft gestartet wurde, das kommt am meisten gelegentlich hervor. Weil so etwas erlebt man nicht alle Tage und letztendlich haben wir deswegen auch Silber gewonnen, weil wir eben so eng miteinander gearbeitet haben."

marco sturm

Verspürst du immer noch ein bisschen Wehmut, dass es doch nicht Gold wurde, weil die Chance mit der Überzahl etwas mehr als zwei Minuten vor Schluss bei eigener Führung war schließlich riesig?
Sturm: "Absolut. Ich müsste Lügen, wenn es nicht so wäre. Ich könnte mich heute noch ärgern. Aber andererseits muss man beim Rückblick auch auf dem Teppich bleiben. Wir haben die Spiele davor gegen die Schweiz und Schweden in der Verlängerung gewonnen. Das hätte auch anders ausgehen können, dann wären wir ausgeschieden. Da war das Quäntchen Glück auf unserer Seite. Leider mit dem Ausgleich am Schluss im Finale und der unglücklichen Strafzeit in der Verlängerung war das Glück nicht ganz auf unserer Seite. Wir können uns jedoch deswegen keinen Vorwurf machen. Wir können auf das Erreichte sehr stolz und damit sehr zufrieden sein. Das ist letztendlich das, was zählt."
Du hast trotz dieses Erlebnisses und dieser Erfahrung stets selbst von dir gesagt, dass du dich weiterhin in einem Lernprozess als Trainer siehst. Wo stehst du in dieser Entwicklung zum jetzigen Zeitpunkt?
Sturm: "Das ist weiterhin der Fall. Es ist unglaublich, wieviel Luft ich noch nach oben habe. Es hat sich diesbezüglich wenig geändert. Ich bin immer noch der Meinung, dass ich jeden Tag dazu lerne. Ich habe eine schöne Aufgabe und Herausforderung hier bei den Kings, die mir sehr viel Spaß bereitet. Ich weiß aber auch, wenn man den nächsten Schritt machen will, dann muss man gut vorbereitet sein. Ich habe in unserem Trainerstab gute und erfahrene Lehrer. Insofern genieße ich es, mich jeden Tag weiter zu verbessern."
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Wie sieht deine Aufgabenstellung im Trainerteam aus?
"Seitdem Todd McLellan der Cheftrainer ist, bin ich für die Stürmer und mehr oder weniger das Powerplay zuständig. Alles in allem für das offensive Spiel. Doch das Schöne ist, dass wir ein engvertrautes Trainerteam sind, das sehr gut zusammenarbeitet. Deswegen macht es sehr viel Spaß, hier zu arbeiten."
Ihr habt derzeit eine Siegesserie von sechs Spielen am Laufen und seid für viele überraschend erfolgreich. Wie beurteilst du die Lage in deinem Verantwortungsbereich und allgemein?
Sturm: "Unser Powerplay ist so erfolgreich wie noch nie seitdem ich hier bin. Hier haben wir in dieser Saison den größten Sprung gemacht. Es wurde auch im Training sehr viel Zeit in diesen Bereich investiert. Auch die Unterzahl steht viel besser da als letzte Saison. Das sind schon mal zwei wichtige Bereiche, in denen wir einen großen Fortschritt gemacht haben. Das hat uns sicher die letzten Wochen geholfen. Letztendlich ist es unsere Disziplin und Struktur im Spiel, die andere Mannschaften zur Verzweiflung bringt.
Wir waren ja schon in der vergangenen Saison in den letzten zehn Spielen sehr stark, da hat es sich schon angedeutet. Doch durch die lange Pause und die kurze Vorbereitung war etwas Anlaufzeit nötig. Auch wir haben zehn bis 15 Spiele gebraucht, um in den Gang zu kommen. Doch jetzt scheinen die Dinge zu fruchten. Momentan klappt es, aber es werden auch wieder andere Zeiten kommen. Wir haben sehr viele junge Spieler und mit denen müssen wir sehr intensiv arbeiten, dass sie lernen, konstant in ihrer Leistung zu werden. Dann kann die gesamte Mannschaft auf Dauer erfolgreich sein."

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Der Spielplan ist in dieser Saison sehr eng gestrickt. Die Spieltage nehmen noch zu, wenn Spielverlegungen wegen Corona dazukommen. Wie denkt ihr im Trainerteam darüber, inwieweit das zum Faktor werden könnte, je länger die Saison dauert und was ihr diesbezüglich tun könnt?
"Ich glaube von den Spielen, den Terminen und dem Rhythmus her, ist das ziemlich leicht. Die Jungs sind das gewohnt, dass sie fast jeden zweiten Tag spielen. Auch für uns Trainer ist das überhaupt kein Problem. Alles andere ist einfach die große Herausforderung, die wir momentan haben und der wir uns stellen müssen. Der Umgang mit den ganzen COVID-Regeln und -Protokollen, die wir in der Liga haben, aber auch zu Hause, die staatlichen Regularien in Los Angeles oder Los Angeles County. Das ist unsere große Herausforderung. Aber alles andere, das ist für uns eigentlich nichts Neues und Alltagsgeschäft."
Am Freitag tretet ihr bei den Minnesota Wild an, wo dein Namensvetter Nico Sturm spielt, der am Mittwoch seine beiden ersten NHL-Tore erzielt hat. Hattet ihr schon mal Kontakt oder wirst du die Gelegenheit nutzen, ihm zu gratulieren?
"Leider nicht, denn durch die Corona-Regeln ist uns jeglicher Kontakt mit dem Gegner untersagt. Wir haben in dieser Saison schon häufiger gegen Minnesota gespielt. Nico ist ein zuverlässiger Zwei-Wege-Spieler, der seine Sache gut macht. Er ist groß und kräftig. Mich freut es für ihn, dass es gestern mit seinen ersten zwei Toren geklappt hat."
Ein anderer Deutscher, Tim Stützle, ist bei den Ottawa Senators stark in die NHL gestartet und trumpft mehr auf als Alexis Lafrieniere und Quinton Byfield, die vor ihm gedraftet wurden. Die Kings hätten Stützle an Nummer zwei wählen können. Provokant gefragt, habt ihr die falsche Wahl getroffen?
"Im Nachhinein ist man immer schlauer, aber ich glaube, egal ob die Rangers, Kings oder Senators, wir alle drei haben im NHL Draft 2020 sehr gute Spieler erhalten, die in der Zukunft eine große Rolle in ihren jeweiligen Teams spielen werden. Der eine, wie Stützle momentan, ist vielleicht schon etwas reifer. Momentan vielleicht deswegen, weil er mit Mannheim schon im Männerbereich gespielt hat. Die anderen brauchen einfach noch eine gewisse Zeit. Aber langfristig haben wir alle gute Spieler gewonnen, doch Stützle ist momentan eine Klasse für sich und es macht richtig Spaß ihm zuzusehen."
Zum Abschluss noch die Frage, wie intensiv du dich derzeit mit dem deutschen Eishockey beschäftigen kannst?
"Das interessante ist, dass wir hier in Los Angeles jedes Spiel der Nürnberg Ice Tigers live in der Kabine laufen haben, weil Tyson McLellan, der Sohn von Todd, dort spielt. Ich weiß zwar nicht, wer in der DEL-Tabelle vorne steht, aber so bekomme ich vom Eishockey in der DEL immerhin einiges mit."