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Jessica Campbell hat deutsche Eishockey-Geschichte geschrieben: In der Vorwoche war die 29-jährige Kanadierin die erste Trainerin hinter einer DEL-Bande. Campbell will damit Wege für viele ihrer Kolleginnen aufzeigen und ist überzeugt, dass auch die NHL von Frauen-Eishockey profitieren wird.

Pionierarbeit in Deutschland
Den Trend hatten in der laufenden Saison 2021/22 bereits die Vancouver Canucks angestoßen: Mit Cammi Granato engagierten die Canucks den ersten weiblichen Assistenz-GM in der NHL-Historie.
Mit Jessica Campbell machte nun eine weitere ehemalige Nationalspielerin auf sich aufmerksam: Die Kanadierin wurde von den Nürnberg Ice Tigers eigentlich nach Deutschland beordert, um dem Team vor den Playoffs in Sachen Powerskating und Technik weiterzuhelfen, doch plötzlich fand sich die 29-Jährige auf der Trainerbank wieder und kümmerte sich verantwortlich um die Offensive und das Powerplay des Klubs aus der PENNY DEL.
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"Ich glaube, jeder war ein bisschen überrascht. Ich selbst auch", erklärte Campbell. "Aber ich war auch bereit für diese Möglichkeit. Ich habe auf diesen Moment hingearbeitet. Ich wollte einfach einen Mehrwert für das Team, für Tom (Cheftrainer Tom Rowe) und Kofi (Co-Trainer Manuel Kofler) bringen und ihnen in der kurzen Zeit hier neue Ideen und eine neue Perspektive geben. Eine neue Stimme kann manchmal helfen, zumindest hat mir das als Spielerin immer geholfen. Ich wollte ihnen einen frischen Blick auf die Dinge geben und sie haben das begrüßt."
Campbell konzentrierte sich voll auf ihre Arbeit, sah in einer Woche in Nürnberg eigentlich nur die Eisfläche in der Arena und ging plötzlich als Trainerin in der DEL in die Geschichte ein. "Ich wusste das gar nicht", sagte Campbell. "In Kanada und in den USA ist es nicht mehr ganz so ungewöhnlich, dass Frauen involviert sind. Sie kümmern sich aber eher um Scouting, Analysen und die Arbeit hinter den Kulissen, es war aber niemand hinter der Bande, in Aktion und hat Wechsel angesagt. Das ist der Kern dieser Geschichte. Tom hat mich in alle drei Liga-Spiele involviert."
Frauen-Einfluss bald auch in der NHL?
Die Arbeit der eigentlichen Powerskating-Trainerin trug schnell Früchte: Zuvor war den Ice Tigers in fünf von sechs Spielen jeweils nur ein einziger Treffer gelungen, mit Campbell hinter der Bande waren es elf Tore in drei Partien. Zudem wirkte das Powerplay spielfreudiger und effektiver.
Für Campbell ein schöner Beleg dafür, dass Frauen im Männer-Eishockey eine große Wirkung haben können: "Ich denke, es ist gut für das Spiel und die Spieler, dass sie offen für neue Ideen sind. In diese Richtung wird sich dieser Sport entwickeln, auch in der NHL. Es geht um Puckbesitz - und genau so funktioniert Frauen-Eishockey. Es ist wichtig, um das Spiel weiterzuentwickeln und zu zeigen, dass Frauen dabei helfen können. Es bewegt sich etwas, die Denkweise ändert sich und die Zeit war reif. Es ging darum, dass ein Anfang gemacht wird und das Großartige ist, dass Nürnberg es getan hat. Dass ich die Möglichkeit bekommen habe, es hier zu tun, wird hoffentlich Barrieren in der Zukunft durchbrechen."
Diese Barrieren bedeuten, dass es auch im Jahr 2022 keine Selbstverständlichkeit ist, weiblichen Coaches eine Chance geben. Das musste Campbell selbst erleben: "Meist ist das Erste, was du hörst, dass es wohl nicht klappen wird, weil du eine Frau bist. Das Problem ist: Wenn man immer wieder auf diese Widerstände trifft, gibt man vielleicht irgendwann auf. Für mich war das aber keine Option. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie ich mich selbst von anderen unterscheiden, wie ich mich als Trainerin entwickeln kann, um zu zeigen, dass ich es kann. Irgendwann kommst du an einen Punkt, wo dich diese ganzen Neins nicht mehr kümmern, sondern du konzentrierst dich darauf, was dich von anderen unterscheidet, was dich besonders macht und vertraust darauf, dass es auch Menschen wie Tom gibt. Ich bin super dankbar, denn ich habe bis heute viele Neins gehört. Jetzt war es endlich mal ein Ja."
Keine Ressentiments bei Rowe und seinen Spielern
Rowe arbeitete in verschiedenen Funktionen in der NHL, war Chefcoach, Co-Trainer, General Manager, Assistenz-GM und Berater. Dass der 65-jährige US-Amerikaner nun einer Frau eine solche Chance ermöglichte, war zumindest für ihn selbstverständlich: "Ich liebe es, neue Dinge auszuprobieren. Ich habe kein großes Ego, ich möchte einfach gute Leute um mich herumhaben, denn sie lassen auch mich und unsere Spieler besser aussehen", so Rowe. "Mir könnte es nicht gleichgültiger sein, ob es ein Mann oder eine Frau ist. Ich möchte einfach die besten Personen in meinem Stab haben. Sie selbst ist eine phänomenale Skaterin. Wenn man ihr zuschaut, weiß man, warum sie das unterrichtet. Sie versteht das Spiel, und mir hat gefallen, wie sie über die Offensive denkt und über Dinge wie Skating und Puckbesitz. Also habe ich ihr gesagt: Das machst jetzt alles du. Sie hat einen großartigen Job verrichtet. Ich habe ihr dann auch noch das Powerplay übertragen, denn ich selbst konnte dieses Problem nicht lösen."

Die Spieler der Ice Tigers zogen ebenfalls voll mit. "Es war unglaublich und eine gewaltige Erfahrung", berichtete Campbell. "Es hat sich wie eine frische Brise angefühlt. Die Jungs haben mich definitiv gut aufgenommen und meine Ideen angenommen, mich respektvoll und mit viel Klasse behandelt. Ich denke, wir hatten gute Gespräche, wie wir dieses Team weiterentwickeln können und wie wir für die Playoffs nochmal einen Schub bekommen können."
Rowe ist zudem eine andere Entwicklung bei seinen Jungs aufgefallen: "Es wurde ein bisschen weniger geflucht", meinte Cheftrainer schmunzelnd. "Ich habe die ganze Zeit nicht geflucht. Gut, vielleicht ein bisschen auf der Bank. Das hat sie gehört, aber überhaupt nicht beeindruckt. Sie ist eine fröhliche und energiegeladene Person, passt also sehr gut zu unserer Mannschaft."
Türen für andere Frauen öffnen
Sogar so gut, dass sich Nürnberg bemüht, Campbell für die nächste Saison zurückzuholen. "Sie hat eine unglaublich strahlende Zukunft vor sich. Sie ist erst 29 Jahre alt, sie ist wortgewandt und hat ein sehr gutes Verständnis für Hockey", attestierte Rowe. "Wir hatten im Trainerteam eine gute Zeit zusammen, großartige Synergien und ich hoffe, dass wir das fortführen können", stimmte auch Campbell mit ein. "Mein ultimatives Ziel ist, eine Profi-Trainerin zu sein. Auf dem Weg dorthin war das ein wichtiges Sprungbrett. Ich weiß jetzt, dass ich es hier geschafft habe und es den Jungs gefallen hat. Hoffentlich kann das wieder ein Teil meiner Zukunft sein."
So oder so hofft die Trainerin, dass ihr Engagement bei den Ice Tigers einerseits Entscheidungsträger zu einem Umdenken inspiriert, andererseits aber auch Frauen in ihrem Weg bestärkt. "Cammi Granato und die anderen Pioniere sind brillante Menschen und bekommen jetzt eine Plattform, um sich zu beweisen. Wir sind die Pförtnerinnen und können uns für eine Trendwende einsetzen. Diese Tür für mich zu öffnen bedeutet auch, Türen für hundert andere zu öffnen. Das ist der Start einer Reise. Wir werden noch auf diesen Moment zurückblicken und Tom Rowe dankbar sein."