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Jessica Campbell träumt nicht mehr von der NHL, sie lebt jetzt ihren Traum. Zur Saison 2024/25 tritt die Kanadierin einen neuen Job als Assistant Coach bei den Seattle Kraken an und ist damit die erste Trainerin in der NHL. Mit NHL.com/de sprach die 32-Jährige über damit verbundene Emotionen, ein ganz besonderes Zimmer und einen bedeutungsvollen verpassten Anruf von Brent Seabrook.

Ein Traum wird Wirklichkeit

In den letzten zwei Jahren agierte Campbell als Assistenztrainerin beim Farmteam Coachella Valley Firebirds in der AHL. Nun steigt sie in derselben Rolle in die NHL auf. Für sie geht damit der Traum ihres Lebens in Erfüllung.

„Es bedeutet mir eine Menge. Seit der Schulzeit verfolge ich dieses Ziel. Meine Reise führte mich um die gesamte Welt“, sagte Campbell im exklusiven Interview mit NHL.com/de. „Es ist sehr emotional für mich, denn es hat viele Opfer und harte Arbeit mit sich gebracht. Jetzt die erste Trainerin in der NHL zu sein, macht mich sehr stolz. Doch mit diesem Titel geht auch eine gewisse Verantwortung einher. Ich freue mich darauf, was mich erwartet und möchte den Weg für weitere Frauen ebnen, damit ein Umdenken einsetzt.“

Die Nachricht, dass der Traum Realität wird, erreichte Campbell im Training Camp der Kraken Ende Juli. „Es war kurz nach dem herzzerreißenden Saisonende mit den Coachella Valley Firebirds, an dem ich noch zu knabbern hatte. Für mich war diese Situation also bittersüß“, blickt Campbell zurück. „Gleich nachdem ich es in einem Gespräch mit unserem GM (General Manager Ron Francis) erfahren habe, bin ich zurück ins Hotel gefahren und habe meine Mama unter Tränen angerufen. Sie dachte erst, es wäre etwas Schlimmes passiert. Am Ende haben wir alle zusammen vor Freude geweint. Ich war überwältigt von all den Gefühlen.“

Ein verpasster Anruf

Nachdem Seattle eine Presseerklärung veröffentlicht hatte, lief Campbells Telefon heiß. „Mein Telefon ist fast explodiert. Es kam eine Flut an Nachrichten. Viele von ihnen habe ich noch immer nicht beantworten können“, berichtet die Kanadierin.

Am bedeutungsvollsten war ausgerechnet ein verpasster Anruf des ehemaligen NHL-Verteidigers Brent Seabrook (Chicago Blackhawks, Tampa Bay Lightning). „Er war ein Veteran in der NHL, der mich in seiner Zeit als aktiver Spieler als persönliche Trainerin angeheuert hatte“, erklärt Campbell und wird dabei emotional: „Unsere Arbeit hat dazu geführt, dass ich an einen Job in der NHL geglaubt habe. Er hat mich immer wieder ermutigt, dieses Ziel zu verfolgen. Sein Anruf, zumal es auch noch der Allererste war, hat mir viel bedeutet. Er hat immer an mich geglaubt. Es gab außerdem tolle Nachrichten von Moritz Seider oder Philipp Grubauer.“

Jessica Campbell SEA assistant

Enge Verbindung nach Deutschland

Die in Moosomin in der kanadischen Provinz Saskatoon geborene Trainerin pflegt enge Verbindungen nach Deutschland. In der Saison 2021/22 machte Campbell Schlagzeilen, als sie von den Nürnberg Ice Tigers als Skills- und Skating-Coach verpflichtet wurde und damit als erste Trainerin in der DEL Geschichte schrieb. Danach fuhr sie als Co-Trainerin mit der deutschen Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft.

„Ich musste zuletzt oft an die denken, die mich auf meinem Weg begleitet und mir geholfen haben. An meine Zeit in Nürnberg mit (Ice-Tigers-Sportdirektor) Stefan Ustorf, der mir damals die Möglichkeit gab, mit dem Trainerjob anzufangen. An die WM mit dem DEB unter Toni Söderholm. Und natürlich an die folgenden Jahre in Nordamerika. All das waren Etappen auf diesem Weg.“

In den letzten beiden Jahren zählte Campbell zum Trainerstab der Firebirds, die es zweimal in Folge ins Calder Cup Finale schafften, dort aber jeweils an den Hershey Bears scheiterten. Headcoach Dan Bylsma stieg daraufhin zum neuen Kraken-Trainer auf. Kurz darauf folgte ihm Campell, die sich in Seattle nun um die Stürmer und das Powerplay kümmern wird. Mit Philipp Grubauer steht ein deutscher Torwart im Kader.

„Ich habe ‚Grubi‘ vor Kurzem hier in Seattle getroffen. Ich war im Büro, er kam gerade aus dem Kraftraum und war noch ein bisschen außer Atem. Er hat mich kurz begrüßt, mich willkommen geheißen und gesagt, dass er sich freut, mich zu sehen. Grubi ist ein ganz wichtiges Puzzleteil in unserer Mannschaft“, betont Campbell und lacht: „Team Deutschland ist also wieder vereint.“

Rückkehr in die Playoffs als großes Ziel

Nachdem die Kraken die Stanley Cup Playoffs 2024 verpasst hatten, liegt es nun auch an Campbell, die Playoff-Rückkehr zu meistern.

„Ich denke, dass wir ein dynamisches Team haben werden. (Verteidiger Brandon) Montour und (Center Chandler) Stephenson werden wichtige Rollen einnehmen. Wir haben eine hungrige Mannschaft, viele junge Spieler und gutes Goaltending. Wir wollen schwer zu schlagen sein und um einen Platz in den Playoffs kämpfen. Wir wollen eine Siegermentalität etablieren, eine Championship-Kultur aufbauen und jeden Tag mit Freude zur Eisfläche kommen“, zählt Campbell die Ziele für die kommende Saison auf.

Dabei will die erste Trainerin in der NHL von ihrer Zeit bei den Firebirds sowie aus der Vorbereitung beim Kraken profitieren.

„Ich habe gute Beziehungen aufbauen können, sowohl in den Training Camps als auch während meiner Zeit im Coachella Valley“, sagt Campbell. „Ich glaube fest an diese Mischung aus Verbindung und Vertrauen und sehe immer zuerst die Person und dann den Athleten. Ich möchte verstehen, wie jeder einzelne Spieler gecoacht werden will. Eine gute Spieler-Trainer-Beziehung ist sehr wichtig. Hier gilt es, Vertrauen aufzubauen.“

Trainerinnen-Zimmer als Zeichen der Wertschätzung

Wertschätzung erfährt die Pionierin nicht nur vom Management, Trainer-Kollegen oder Spielern, sondern auch von den Architekten der Climate Pledge Arena.

„Endlich habe ich meinen eigenen Trainerinnen-Raum. Dieser wurde zwar schon designt, bevor ich hier ankam, doch dieses Gefühl der Akzeptanz ist sehr speziell. Als ich zum ersten Mal diesen Raum betreten habe, war es etwas ganz Besonderes. So viele Jahre musste ich mich in Abstellkammern oder im Schiedsrichter-Zimmer umziehen. Jetzt habe ich einen eigenen Ort für mich, an dem ich eine eigene Dusche habe und die Türe abschließen kann. Es ist ein cooler Platz. Ich freue mich darauf, ihn zu meinem Zuhause zu machen.“

Dass das alles in einer liberalen und modernen Stadt wie Seattle vor sich geht, klingt schon fast wie das kitschige Ende eines Dramas. Für Campbell aber schließt sich ein Kreis.

„Es ist definitiv eine ‚Hockey Town‘, eine große und sportbegeisterte Stadt. Hockey ist noch relativ neu, aber es gibt ein gewisses Momentum für diesen Sport. Die Leute hier lieben eine diverse Gesellschaft. Es ist eine offene Stadt, jeder fühlt sich frei. Für mich ist es ein Privileg, die Seattle Kraken repräsentieren zu dürfen.“

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