Ulf Meisel

Eishockey-Spieler sind eine ganz besondere Spezies: Sie scheinen keine Schmerzen zu spüren und spielen häufig trotz schwerer Verletzungen einfach weiter. Ein ikonisches Bild ist der typische „Hockey Smile“, also ein breites Lächeln mit Zahnlücke(n), meist geziert von der einen oder anderen Narbe im Gesicht.

„Für sie ist das wie eine Auszeichnung und ein Beweis dafür, wie hartgesotten sie sind“, sagt Dr. Ulf Meisel, der als Team-Zahnarzt bei den Nürnberg Ice Tigers in der DEL arbeitet und dort auch ehemalige NHLer unterm Messer hatte. Ein Arbeitstag in seinem Leben ist nichts für Zartbesaitete.

Stiche als Auszeichnung

Mit Geschichten über NHL-Spieler, die buchstäblich über die Schmerzgrenze hinausgehen, würden sich Bücher füllen lassen. Joe Thornton spielte bei den San Jose Sharks einst mit Kreuz- und Innenbandriss in den Stanley Cup Playoffs 2017. Zdeno Chara von den Boston Bruins brach sich im Stanley Cup Finale 2019 den Kiefer, ließ diesen verdrahten und stand bei ohrenbetäubenden Jubelschreien kurz darauf wieder in den Starting Six. Matthew Tkachuk von den Florida Panthers konnte in den Stanley Cup Finals 2023 aufgrund eines gebrochenen Brustbeins zwar nicht mehr ohne Hilfe seines Bruders Brady aus dem Bett aufstehen, geschweige denn alleine in die Schlittschuhe steigen, trotzdem hielt ihn das nicht davon ab, aufzulaufen.

„Hockey-Spieler sind einfach harte Sportler, das ist unfassbar“, lacht Meisel. Ein besonders blutiges Beispiel seiner Arbeit ist der ehemalige NHL-Verteidiger Korbinian Holzer (206 Spiele, 6-21-27, für die Toronto Maple Leafs, Anaheim Ducks und Nashville Predators), der damals mit den Adlern Mannheim in Nürnberg spielte und seine Hilfe benötigte.

„Holzer hatte einen Puck ans Kinn bekommen. Seine Gesichtshaut war sternförmig aufgeplatzt, sogar der Muskel lag frei. Ich musste ihm in der Kabine nicht nur den Cut mit 18 Stichen zunähen, sondern auch den Muskel. Alles ohne Betäubung“, berichtet Meisel. „Jeder Eishockey-Spieler fragt immer nach, wie viele Stiche es waren. Das ist für sie wie eine Auszeichnung und ein Beweis dafür, wie hartgesotten sie sind.“

Ulf Meisel

Betäubung? Nein danke!

Kurioserweise kümmert sich der Zahnarzt relativ selten um Schäden an den Zähnen. „Während eines Spiels sind es eher Weichteilverletzungen an der Wange, Zunge, den Lippen, dem Auge, Kinn oder Ohr“, erklärt Meisel. „Einmal ist bei einem Gegenspieler nach einem geblockten Schuss das Schienbein aufgeplatzt. Auch das konnten wir versorgen.“

Um auch bei diesen Verletzungen vor Ort helfen zu können, investierte Ulf Meisel - übrigens gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Dr. Mark Meisel - in eine Zusatzausbildung in Oralchirurgie und sammelte Berufspraxis in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. An Spieltagen ist eine „Praxis to go“ immer mit dabei.

„Wir haben einen riesigen, eigens zusammengestellten Arztkoffer, sozusagen eine mobile Zahnarztpraxis. Da ist alles drin, was wir brauchen, um die Spieler beider Mannschaften lokal zu versorgen“, sagt Ulf Meisel.

Fast nie zum Einsatz kommt dabei eine Spritze mit Anästhesie - auch wenn die Ärzte klaffende Wunden flicken oder verschobene Zähne zurückbiegen müssen.

„Man muss wissen: Sobald ich einem Spieler eine Betäubung gebe, sind sie raus aus dem Spiel“, so Meisel. „Sie können nichts mehr spüren und sich versehentlich die Zunge oder die Lippe abbeißen. Das Verletzungsrisiko wäre zu groß.“

Ulf Meisel

Eishockey-Spieler kennen keinen Schmerz

Grund für Verletzungen auf dem Eis sind übrigens vor allem Unfälle durch Pucks und Schläger. Wie schmerzhaft und folgenschwer ein unfreiwilliger Kontakt mit diesen Spielgeräten sein kann, musste etwa David Trinkberger (jetzt: Krefeld Pinguine, DEL2) erfahren.

„Er hatte einen abgefälschten Schlagschuss ins Gesicht bekommen und stark geblutet. Seine Lippe war dreifach aufgerissen und drei Zähne waren nach außen weggebogen, wodurch auch noch der Kiefer bis in Kieferhöhle hinein gebrochen war. Ich musste ihn in unserer Praxis operieren, was dreieinhalb Stunden gedauert hat. Als wir fertig waren, ist ‚Trinki‘ aufgestanden und hat gefragt, ob er morgen wieder spielen darf“, lacht Meisel. „Was er dann übrigens auch getan hat.“

Ex-NHLer Tom Gilbert blieb in seiner langen Karriere lange von derartigen Verletzungen verschont. Ausgerechnet in seiner letzten Saison in Nürnberg erwischte es den Abwehrmann dann aber gleich zweimal. „Zu Saisonbeginn waren zwei Zähne Richtung Gaumen umgebogen, er konnte nicht mal den Mund schließen, wenn er zubeißen wollen. Am Ende der Saison hatte er nochmal einen Puck ins Gesicht bekommen und einen Zahn verloren. Er hat den Zahn am nächsten Tag mitgebracht, wir konnten ihn ins Knochenfach zurückstecken und schienen. Das ist wie ein Gips für den Zahn, der tatsächlich wieder festwächst. Tom Gilbert hat also alle seine Zähne wieder.“

Der „Hockey Smile“ mit vielen Zahnlücken ist zwar eine Auszeichnung, jedoch hängen die Profis sehr an ihren Beißern: „Hockey-Spielern sind die eigenen Zähne extrem wichtig“, betont Meisel. „Sie wollen sie so lange wie möglich behalten. Passiert dann doch etwas, gibt es meist nach der Karriere eine Generalüberholung.“

Draisaitls schönste Tore der Saison 2023/24

Oilers- und Draisaitl-Fan

Zu seinem Beruf als Teamzahnarzt kam Meisel übrigens dank dem ehemaligen NHL-Torwart Niklas Treutle (zwei Spiele für die Arizona Coyotes), der bei den Ice Tigers die Werbetrommel für das Brüderpaar rührte.

Meisel selbst ist großer NHL-Fan: „Ich habe mir extra das Sky-Abo geholt, damit ich mir die NHL-Spiele anschauen kann. Ich verfolge vor allem die Edmonton Oilers und Leon Draisaitl. Er ist mein Lieblingsspieler, weil er so ein bescheidener und erfolgreicher Mensch ist. Im letzten Urlaub habe ich auch Tim Stützle (Ottawa Senators) getroffen. Er ist ein sehr sympathischer und ruhiger Junge. Ich sehe auch Moritz Seider (Detroit Red Wings) gerne, wie er jeden wegcheckt.“

Bleibt nur noch die Frage, ob NHL-Spieler hartgesottener sind als ihre DEL-Kollegen? „In der NHL ist das Eishockey schneller und ruppiger. Von der Spielweise her würde ich schon sagen, dass es da härter zugeht. Bei der Schmerztoleranz bei Verletzungen sehe ich keinen Unterschied, da nehmen sich beide nichts.“

Ulf Meisel

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