Marchand muss bei Boston noch mehr Verantwortung tragen

Bei den Boston Bruins saß der Schock tief, als Patrice Bergeron am 25. Juli 2023 sein Karriereende bekannt gab, und er wirkt noch bis heute nach. Emotionale Worte kamen nicht nur von Bergeron selbst, sondern auch von Mit- und Gegenspielern. Und natürlich auch von seinem langjährigen Reihen-Kollegen Brad Marchand, der nun als designierter Kapitän gilt und in der neuen NHL-Saison 2023/24 noch mehr Verantwortung übernehmen muss.

Eines der besten Sturm-Duos aller Zeiten

"Ich werde dich jeden Tag vermissen", sagte Marchand in einer emotionalen Videobotschaft an Bergeron mit Tränen in den Augen. "Was wir hatten, war etwas Besonderes. Ich kann nicht erwarten zu sehen, wie das nächste Kapitel in deinem Leben aussehen wird, wie deine Kinder aufwachsen und was sie erreichen werden. Danke für alles. Ich liebe dich und werde dich vermissen."

Das "Spoked-B" (das Logo der Bruins mit dem B vor den Speichen) auf der Vorderseite und die Nummern 37 und 63 auf der Rückseite - in Boston war das ein Bild, das die letzten 15 Jahre prägte, denn es waren die Trikots von Patrice Bergeron und Brad Marchand, eines der besten Sturmduos, das die NHL je gesehen hat. Zehn Jahre lang spielten die beiden Freunde in einer Reihe und mischten Seite an Seite die Liga auf. Bergeron als spielstarker Zwei-Wege-Center, Marchand als schneller, unangenehmer Provokateur und Scorer.

Während die 37 wohl zeitnah unter das Hallendach im TD Garden gezogen und nie weder vergeben wird, wird die 63 in der neuen Saison aller Voraussicht nach ein neues Detail haben: Das "A" für den Assistenzkapitän dürfte dann nicht mehr auf der Brust zu sehen sein, sondern es dürfte das "C" für den Kapitän werden. Alles andere wäre eine große Überraschung, trugen Bergeron und Marchand in den letzten Jahren doch die Hauptverantwortung in Boston.

Große Fußstapfen und eine noch größere Ehre

So oder so sind es große Fußstapfen, in die Bergerons (2020-2023) Nachfolger treten wird: Seit 1995 bekleideten Zdeno Chara (2007 bis 2020), Joe Thornton (2002 bis 2006), Jason Allison (2000/01) und Ray Bourque (1985-2000) das Amt des Kapitäns. Als Assistent fungierte Bergeron bereits von 2007 bis 2020, auch Marchand kann auf eine lange Historie mit dem "A" zurückblicken, er trägt diesen Buchstaben bereits seit 2018 auf dem Trikot.

Ebenfalls im Kreis der Führungsspieler waren in der Vorsaison Torjäger David Pastrnak (27), Mittelstürmer David Krejci (37) sowie Verteidiger Brandon Carlo (26). Ob Krejci seine Karriere fortsetzen wird, ist noch nicht entscheiden. Pastrnak oder Carlo bringen wiederum noch nicht die Erfahrung eines Marchand mit, der bereits 15 NHL-Saisons (947 Spiele, 372-490-862), elf Runs in den Stanley Cup Playoffs (146 Spiele, 53-75-128) und einen Stanley Cup Sieg in seiner Vita stehen hat.

Seit anderthalb Jahrzehnten konnte Marchand außerdem von Bergeron lernen. "Du musst mehr wie 'Bergy' sein", hatte ihm sein damaliger Trainer Claude Julien mit auf den Weg gegeben. "Er ist das perfekte Beispiel, dem du folgen und von dem du lernen solltest", blickt Marchand zurück und betont: "Die besten Spieler sind das nicht ohne Zufall. Es gibt einen Grund dafür, warum sie die Besten sind. Es gibt auch einen Grund dafür, warum Bergy eines der besten Zwei-Wege-Spieler aller Zeiten geworden ist. Es ist wegen seines Engagements. Es war wichtig, jeden Tag zu sehen, dass es eine Verantwortung gibt, so zu spielen. Ich kann aus tiefsten Herzen sagen, dass wenn ich ihn nicht getroffen und mit ihm zusammengespielt hätte, ich niemals so ein Spieler oder Person wäre. Wir waren erst Teamkollegen, dann Reihenkollegen, dann ist eine unglaubliche Freundschaft entstanden und eine Verbindung, die ein Leben lang halten wird. Ich bin so dankbar dafür."

Wie Bergeron ist auch Marchand ein Franchise-Spieler der Bruins, verbrachte dort also seine komplette NHL-Karriere. 2006 wurde er in der 3. Runde an 71. Stelle gedraftet und debütierte in der Saison 2009/10 für Boston. Gleich in seiner ersten Spielzeit als Assistenz-Kapitän in 2018/19 legte der Flügelstürmer ein Karriere-Jahr aufs Eis, in 79 Spielen gelangen ihm 36 Tore, 64 Assists und 100 Scorerpunkte. Trotz gerade einmal 1,75 Meter Körpergröße ist der Linksschütze ein nimmermüder Kämpfer und extrem unbequemer Gegenspieler. Der Spitzname "die Ratte" ist für ihn als Kompliment zu verstehen.

Ein Jahr voller Herausforderungen

Sollte Marchand wie erwartet zum Kapitän ernannt werden, erwartet ihn eine noch größere Verantwortung - und das vor einem denkbar schwierigen Jahr: Bergeron nämlich reißt nicht nur als Führungsspieler und als Mensch eine große Lücke, sondern auch als einer der besten Zwei-Wege-Stürmer und drittbester Franchise-Scorer. Mit den Angreifern Taylor Hall, Nick Foligno, Tyler Bertuzzi, Garnet Hathaway und Tomas Nosek sowie mit Verteidiger Dmitry Orlov stehen weitere prominente Abgänge fest. Die Zukunft von Center Krejci ist noch offen. Gleichzeitig haben die Bruins auch durch eine Cap-Strafe nur noch wenig Gehaltsspielraum zu Verfügung, um aufzurüsten. Nach einer Saison als Presidents'-Trophy-Gewinner (bestes Team der regulären Saison 2022/23) und einem frühen Playoff-Aus (3:4 in der 1. Runde gegen die Florida Panthers) könnte die Fallhöhe kaum größer sein.

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Der personelle Adlerlass bedeutet in Boston insbesondere einen Qualitätsverlust auf der Center-Position. Auch Marchand bekommt neue Mitspieler in der Top-Reihe. Diese dürften aller Voraussicht nach Pavel Zacha und David Pastrnak heißen. Zacha ist ein physisch-starker Power Forward, der auch fleißig nach hinten mitarbeitet. Pastrnak ist ein Vollblut-Torjäger, der sich zuletzt mit einer 113-Punkte-Saison (82 Spiele, 61-52-113) ins Schaufenster stellte. Das Trio sollte also keinerlei Anlaufschwierigkeiten haben und gut miteinander harmonieren, zumal Marchand bereits zuvor mit beiden zusammengespielt hatte. Fraglich ist dagegen, ob die Bruins genug Tiefe haben werden, um auch für Secondary Scoring zu sorgen.

So oder so: Für Marchand wird die Saison 2023/24 ein neues Kapitel (ohne Bergeron), eine neue Aufgabe (als Kapitän?) und eine enorm große Herausforderung - insbesondere Letzteres aber scheint der 35-jährige Routinier zu lieben.