Die Seattle Kraken sind in dieser Saison noch nicht so richtig in Form gekommen. Aber manchmal reicht ja ein Moment oder ein Spiel, um den berühmten Bock umzustoßen. Und wenn für die Mannschaft mit dem deutschen Keeper Philipp Grubauer eine Partie das Potenzial dafür hat, dann der 5:4-Sieg nach Verlängerung bei den Vancouver Canucks. Denn am Samstag (Ortszeit) gelang den Kraken in der Rogers Arena wahrhaft etwas Historisches.

„Die Mannschaft gibt einfach nicht auf. Die Art und Weise, wie wir zurückgekommen sind, kann dafür sorgen, dass wir viel Selbstvertrauen bekommen.“ Ja, Dan Bylsma, Trainer der Seattle Kraken, hatte bei diesen Aussagen immer einen leichten Anflug eines Grinsens im Gesicht. Komplett durchkommen ließ er es aber nicht. Er weiß, dass es in der NHL ganz schnell gehen kann und dass der Sieg von heute morgen schon wieder fast niemanden interessieren mag. Dafür ist das Geschäft in der NHL zu schnelllebig.

Seattle spektakulär

Und doch wird der Sieg der Kraken in Vancouver ein paar Tage länger im Gedächtnis bleiben. Dafür war sein Zustandekommen einfach zu spektakulär. Denn die Kraken lagen fünf Minuten vor der Schlusssirene 1:4 gegen die Canucks zurück, glichen in der letzten Minute aus und holten sich in der Verlängerung noch den Sieg. Erst zum dritten Mal in der Historie der NHL ist es damit einem Team gelungen, ein Spiel zu gewinnen, bei dem es fünf Minuten oder weniger auf der Uhr mit drei Toren oder mehr zurücklag. Den San Jose Sharks ist das in dieser Saison schon gelungen, am 28. Oktober beim 5:4-Sieg nach Verlängerung gegen Utah, und die Montreal Canadiens haben das ebenfalls geschafft – am 15. März 2014.

Jetzt also Seattle. Ausgerechnet die Kraken, die vor der Pause für die Weihnachtsfeiertage fünf Partien in Folge abgegeben hatten. „Die Spiele nach der Weihnachtspause sind immer schwierig. Das gilt aber für beide Teams“, meinte Bylsma. Sein Team gestaltete die Partie zwar ausgeglichen, was die Anzahl der Torschüsse anging, die Treffer fielen aber hauptsächlich gegen die Gäste. Brock Boeser sorgte in Überzahl zum ersten Mal für Jubel bei den heimischen Fans, als er die Canucks in Führung brachte (17.).

Beniers atmet auf

Matty Beniers brachte nach der ersten Pause die Gäste auf die Anzeigetafel. Seinen Treffer zum 1:1 (22.) hätte Canucks-Torwart Thatcher Demko aber mit Sicherheit gerne noch mal zurück. Der Schuss war nicht unhaltbar. Beniers war es egal. Er beendete damit eine 20 Spiele währende Torflaute. „Ich habe einfach mal abgezogen. Und dann passieren eben manchmal gute Dinge“, meinte er zu seinem fünften Saisontor. Doch dann übernahmen wieder die Gastgeber die Kontrolle über die Partie. Conor Garland (29.), erneut Boeser (36.) und Jake DeBrusk (44.) schossen eine scheinbar komfortable 4:1-Führung für die Gastgeber heraus. Das vermeintliche 5:1 durch Dakota Joshua wäre wohl auch der Todesstoß für die Kraken gewesen, doch der Stürmer der Gastgeber hatte den Puck mit der Hand vorbei an Grubauer (18 Saves) und über die Torlinie bugsiert, weshalb der Treffer nicht zählte.

Für ein Comeback wie das, das die Kraken dann ablieferten, braucht es dann auch kuriose Tore. Wie zum Beispiel das 4:2. Jaden Schwartz zog hinter der verlängerten Torlinie ab, überlistete und überraschte Demko (56.). Damit bekam das Spiel eine merkwürdige Eigendynamik. Kraken-Verteidiger Vince Dunn profitierte beim 4:3 von einem schlimmen Fehler der Canucks in deren eigenen Verteidigungszone (59.). Und 22 Sekunden später sorgte Schwartz für den Ausgleich. Ja, da sei auch viel Verzweiflung dabei gewesen, gestand Dunn nach der Partie. „Aber wir haben auch gut nachgesetzt, Welle für Welle, Sturmreihe für Sturmreihe. Das war nicht unbedingt systematisch, aber endlich war jeder für den anderen da“, sagte Dunn. Das zweite Tor von Schwartz habe dem Team wieder das richtige „Mindset“ verpasst, befand auch Bylsma.

Schwartz macht die 500 voll

Für Schwartz war der Treffer zum 4:4 der 500. Scorerpunkt in seiner NHL-Karriere (207-293-500). „Er ist wie ein Mentor für mich. Ich kann mich glücklich schätzen und fühle mich auch geehrt und stolz, dass er mein Teamkollege ist. Er ist ein großartiger Anführer, gerade für die Jüngeren im Team. Er ist nicht immer der Lauteste in der Umkleide, aber er sagt die richtigen Dinge und geht mit gutem Beispiel voran“, lobte Dunn seinen Mannschaftskameraden. Schwartz wurde mit dem 4:4 auch der zweite Spieler in der Franchisegeschichte der Kraken, dem in der letzten Minute einer Partie der Ausgleich gelang. Vor gut einem Jahr schaffte das vor ihm bereits Eeli Tolvanen (18. Dezember 2023).

Der Abwehrspieler zeichnete dann in der Overtime selbst für den Siegtreffer verantwortlich, als er einen Fehlpass von Tyler Myers aufnahm und Demko nach einem Solo überwand. Er machte damit das fünfte Spiel in dieser Saison für Seattle perfekt, in dem das Team nach einem Rückstand von mindestens zwei Toren noch den Sieg eingefahren hat. In dieser Statistik sind die Kraken Spitze in der Liga vor den Vegas Golden Knights (vier).

SEA@VAN: Dunn erzielt ein weiteres, bei Breakaway in OT

In der Tabelle hinken die Kraken allerdings trotz des Sieges noch hinterher. In der Pacific Division belegt das Team mit 34 Punkten Platz sechs und hat sieben Zähler Rückstand auf den zweiten Wild Card-Platz, auf dem aktuell die Dallas Stars stehen. Doch ein solches Comeback kann einiges auslösen in einer Mannschaft. Diese Hoffnung hat auch der Trainer: „Wir haben sowas ja schon ein paar Mal in dieser Saison geschafft. Doch an diesem Punkt der Saison, mit all den Niederlagen und der Weihnachtspause davor, war dieses Spiel schon ein enorm wichtiger Test für die Mannschaft. Wir sind nach dem 1:4 drangeblieben. Das Ergebnis sollte uns Selbstvertrauen geben“, meinte Bylsma. Dieses neu gewonnene Selbstvertrauen können Grubauer und die Kraken am Montag in eigener Halle unter Beweis stellen. Dann geht es für Seattle zum Jahresabschluss gegen Utah.

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