Draisaitl holt 110 Punkte zum Gewinn der Ross Trophy

In Deutschland kommt man aus dem Staunen immer noch nicht heraus, wenn man bedenkt, was Leon Draisaitl von den Edmonton Oilers gerade erreicht hat. Ein deutscher Spieler verbucht als 24-Jähriger 110 Punkte (43 Tore, 67 Assists) in 71 Spielen und wird der Topscorer der regulären Saison 2019/20. Kein Kanadier, kein US-Amerikaner, kein Russe oder kein Skandinavier war besser als Draisaitl. Es ist der Ritterschlag für jeden Eishockeyspieler. Als Auszeichnung erhält Draisaitl die Art Ross Trophy und er gilt außerdem als Topfavorit auf die Hart Trophy für den wertvollsten Spieler der regulären Saison.

"Als kleiner Junge träumt man natürlich von solchen Sachen", sagt Draisaitl bei einer Videokonferenz der Oilers am Freitag. "Es war schon immer mein Ziel, auch mit den Besten der Welt ganz oben mitzuspielen. Ich wusste, dass ich viel Arbeit vor mir habe und mich in einigen Dingen verbessern muss. Das habe ich jedes Jahr gemacht und da bin ich meiner Meinung nach auch noch nicht am Ende. Es gibt noch sehr, sehr viel Luft nach oben."

Auch sein Umfeld in Edmonton schätzt, dass der Kölner ein akribischer Arbeiter an seinen Fähigkeiten ist. "Es ist ein großartiger Erfolg für Leon und es zahlt sich jetzt die harte Arbeit aus, die er in den letzten vier oder fünf Jahren hineingesteckt hat, um in seiner Karriere die Schritte nach vorne zu kommen", lobt Ken Holland, der General Manager der Oilers, seinen deutschen Stürmer.

Sein Teamkollege und Kapitän Connor McDavid, der schon zwei Mal in 2017 und 2018 die Art Ross gewinnen konnte und in dieser Saison mit 13 Punkten Rückstand auf dem zweiten Platz landete, neidet Draisaitl den Erfolg keineswegs und weiß ebenfalls, dass Draisaitl noch nicht am Ziel ist.

"Natürlich ist es überragend für ihn", betont McDavid. "Leon hat großartig gespielt und hat es redlich verdient, die Art Ross Trophy zu gewinnen. Aber allgemein glaube ich, dass unsere Gruppe eine gute Arbeit verrichtet hat, so dass sich viele individuell steigern konnten. Wir haben uns in eine gute Ausgangsposition für die Qualifikationsrunde gebracht und wollen einen Platz in den Playoffs erreichen. Leon hatte eine großartige Saison und hat es verdient, aber er weiß auch, dass wir noch viel mehr erreichen wollen, um das wir noch spielen müssen."

Die Oilers treffen in der Qualifikationsrunde zu den Stanley Cup Playoffs 2020 auf die Chicago Blackhawks, die sie in einer Best-of-5-Serie bezwingen müssen, um in die erste Runde der Western Conference einzuziehen. Erst dann beginnt die Jagd auf das ultimative Ziel Stanley Cup, das auch Draisaitl im Fokus hat.

"Es ist ein Team, das immer noch sehr viel Erfahrung hat", meint Draisaitl. "Sie haben die Erfahrung, wie man Spiele und Playoff-Serien gewinnt. Es wird eine gute Begegnung und Serie, die wir hoffentlich gewinnen. Danach kommen wir hoffentlich weit."

Dass Draisaitl viel Potenzial besitzt, war den Oilers schon früh klar, als sie ihn im NHL Draft 2014 an dritter Position auswählten, doch wie gut er sich entwickeln würde, war damals sicher nicht abzusehen. Holland kam erst im April 2019 nach Edmonton und war an dieser Auswahl im Draft nicht beteiligt, allerdings zeigt er sich ein wenig überrascht, was Draisaitl zu leisten im Stande ist.

EDM@NSH: Draisaitl mit vier Toren zum Sieg

"Ich bin nach Edmonton gekommen und Leon hat vergangenes Jahr 50 Tore geschossen und über 100 Punkte erzielt", erzählte Holland. "Er ist der erste Spieler in der NHL, der in den letzten fünf oder sechs Spielzeiten diese Marken in einer Saison erreicht hat. Und er ist im Oktober gerade einmal 24 Jahre geworden. Wir haben 71 Spiele in dieser Saison absolviert, was 85 Prozent einer normalen Saison sind und er hat mit 110 Punkten die meisten in dieser Saison erreicht. Er macht regelmäßig in seiner Karriere Schritte nach vorne. Es ist eine hervorragende Leistung, denn es gibt sehr viele herausragende offensive Spieler in dieser Liga. Es ist ein weiterer Schritt nach vorne für ihn."

Holland hat in seiner Zeit, insbesondere bei den Detroit Red Wings von 1997 bis 2019 schon viele große Stars wie Steve Yzerman, Nicklas Lidstrom, Pavel Datsyuk und Henrik Zetterberg hautnah erlebt und scheut heutzutage nicht den Vergleich mit Draisaitl. "Ich war so viele Jahre in Detroit und wir hatten viele talentierte Spieler. Es gibt immer die Entwicklung des Spielers als Individuum, aber auch für das Team. Das wichtigste für alle und das ultimative Ziel ist der Stanley Cup und den erreicht man nur als ein Team. Aber natürlich braucht man individuelle Spieler, die Verantwortung übernehmen, aber auch dafür sorgen, dass die Chemie in der Mannschaft stimmt. Leon gehört ohne Zweifel in diese Kategorie."

Teamkollege Darnell Nurse, der seit 2013 bei den Oilers spielt und Draisaitls Entwicklung miterlebt hat, hebt ebenfalls dessen Arbeitsethos hervor und denkt, dass er nicht viel bei sich korrigiert hat, um an diesen Punkt zu kommen. "Ich weiß nicht, ob sich bei ihm wirklich was geändert hat", verdeutlicht der Oilers-Verteidiger. "Er hat sehr viel Selbstvertrauen. Er ist ein wirklich guter Eishockeyspieler und er arbeitet hart, um in einem Spiel Erfolg zu haben und sein Team zum Erfolg zu führen. Daran hat sich seit seinem Anfang nicht viel geändert."
Draisaitl selbst sieht durchaus eine Veränderung bei sich. "Ich glaube schon, dass ich mich positiv über die Jahre entwickelt habe", erläutert er. "Natürlich gibt es viele Aufs und Abs, keine Frage. Viele negative Momente und viele positive Momente hatte ich auch. Alles in allem bin ich Jahr für Jahr ein besserer Eishockeyspieler geworden und für mich persönlich ist das Wichtigste, so nah wie möglich an meine Grenzen heran zu kommen."

Diese Grenze, wo auch immer sie liegen mag, scheint derzeit bei Draisaitl nicht erkennbar zu sein. Wir freuen uns sie irgendwann in weiter Ferne zu erkennen.