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In der Hockey-Welt entstehen interessante Themen oft ganz spontan und zufällig. So passiert auf der Pressetribüne bei Spiel 3 der Stanley Cup Finals 2024 im Rogers Place in Edmonton, als ich von einem gewissen James Hamblin auf Deutsch angesprochen wurde. Der 25-jährige Stürmer wurde in Edmonton geboren, schlief früher in Oilers-Bettwäsche und sieht sich neben Leon Draisaitl als zweiter Deutscher im Team. Das ist seine Geschichte.

Ein weiterer Deutscher bei den Oilers?

Die Tastatur läuft heiß, denn der Spielbericht wird von Minute zu Minute länger. Parallel flitzt der Kugelschreiber über einen kleinen Notizblock, um Ideen für die Interviews nach dem Spiel zu sammeln. Plötzlich meldet sich eine Stimme rechts neben mir: „Kommt ihr aus Deutschland?“, fragt ein netter junger Mann mit langen blonden Haaren in perfektem Deutsch, dessen Platzschild mit „Edmonton Oilers“ gekennzeichnet ist. Zweifelsohne ein überzähliger Spieler. Aber ein Deutscher? Bei den Oilers?

„Es war lustig, deinen Gesichtsausdruck zu sehen“, erinnert sich James Hamblin an genau diese Szene im Gespräch mit mir während der Sommerpause. „Normalerweise gibt es viele Sitze für überzählige Spieler, aber die Pressbox war komplett voll. Ich habe also rüber geschaut, habe einen Zettel mit deutschen Notizen gesehen und dich einfach angesprochen.“

Wurzeln in Deutschland: Familie, Lederhosen und Fußball mit Bayern-Star Davies

Parallel zum Spielbericht, den Interview-Notizen und dem einen oder anderen Gespräch mit dem Nebenmann lief nun auch klammheimlich eine Hintergrund-Recherche: Wer ist dieser James Hamblin? Und warum habe ich nicht mitbekommen, dass es neben Draisaitl noch einen weiteren Deutschen in Edmonton gibt?

James Hamblin wurde am 27. April 1999 in Edmonton geboren. Der Stürmer ist mit 1,75 Metern nicht viel größer als ich, spielte fünf Jahre für die Medicine Hat Tigers in der kanadischen Juniorenliga WHL, scorte gut, wurde aber nie gedraftet. Für die Oilers gab er in der Saison 2022/23 sein NHL-Debüt und kam 2023/24 in 31 Spielen zu drei Scorerpunkten (2-1-3). Einen Bezug zu Deutschland aber findet sich nicht. Ein Grund mehr, um persönlich nachzuhaken.

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„Mein Nachname kommt von meinem Vater, der Kanadier ist. Der von meiner Mutter lautet Simon. Meine Großeltern mütterlicherseits heißen Heinz und Hannelore, was noch deutscher klingt, oder? Sie kommen beide aus Dortmund“, erklärt Hamblin. „Natürlich sind sie der Grund, warum ich Deutsch spreche, aber auch, weil ich auf einer bilingualen Schule in Edmonton war. Teil des Programms war auch ein Schüleraustausch in der achten Klasse, bei dem wir in Hannover waren. Wir waren dort eine Woche auf der Schule, dann sind wir noch weiter nach Berlin, München und Frankfurt. Auf unserer Schule hatten wir ein paar Festivals wie das Oktoberfest. Das war lustig, denn ich bin dort immer in Lederhosen erschienen.“

Der Kanadier bemüht sich derzeit um einen deutschen Pass. Immerhin spricht er nicht nur sehr gutes Deutsch, er fühlt sich auch als Deutscher.

„Ich meine, ich schaue mit meinen blonden Haaren und blauen Augen auch so aus oder?“, lacht Hamblin. „Mit der Sprache bin ich aufgewachsen, was mich auch deutsch hat fühlen lassen. Ich habe auch viel Fußball gespielt. Im Juniorenbereich sogar gegen Alphonso Davies, der jetzt beim FC Bayern spielt. Im Alter von zwölf oder 13 Jahren sind wir sogar zusammen für das Team Alberta aufgelaufen. Irgendwann musste ich mich dann zwischen Eishockey und Fußball entscheiden und habe Hockey gewählt.“

Ein Traum wird wahr: Von der Oilers-Bettwäsche ins -Trikot

Dass ein in Edmonton geborener Spieler für die Oilers spielt, ist bereits eine tolle Geschichte, bei Hamblin geht es sogar noch einen Schritt weiter: „Ich hatte als Kind immer eine Dauerkarte bei den Oilers. In meinem Kinderzimmer war damals alles voll mit Fanartikeln: Ich habe in Oilers-Bettwäsche geschlafen, hatte einen Oilers-Pyjama und auch sonst alles, was es gab“, erzählt der 25-Jährige und muss lachen: „Bis vor kurzem, als ich vielleicht 24 Jahre alt wurde, hatte ich auch noch einen Poster in Lebensgröße von Chris Pronger bei mir im Zimmer hängen.“

Bis sich Hamblin den Traum vom ersten Spiel im Oilers-Trikot erfüllte, musste er jedoch einen weiten und harten Weg gehen. Im NHL Draft 2017, als ein gewisser Schweizer namens Nico Hischier an allererster Stelle von den New Jersey Devils ausgewählt wurde, wurde er nicht berücksichtigt. Trotz klarer Steigerungen, die sich sogar in den Statistiken ablesen lassen, wurde der Kanadier in den folgenden Drafts abermals nicht ausgewählt.

„Die Frage nach dem Warum können wohl nur die Pro-Scouts beantworten. Ich selbst hätte mich gepickt“, blickt Hamblin lachend zurück. „Ich habe also fünf Jahre in der WHL gespielt, hatte als 20-Jähriger ein gutes letztes Jahr und konnte mir so einen Vertrag bei den Bakersfield Condors verdienen. Wegen dem Ausbruch der COVID-Pandemie habe ich für drei Monate bei Östersunds IK in der dritten schwedischen Liga gespielt, ehe ich zurückgekommen bin und die Saison in Bakersfield beendet habe. Ich hatte das Glück, unter dem späteren NHL-Trainer Jay Woodcroft zu spielen. Wir hatten eine gute Beziehung aufgebaut, und ich konnte mir einen Platz im Kader verdienen. Dann kam es zu meinem NHL-Debüt. Viel harte Arbeit, Verzicht und meine Niemals-Aufgeben-Einstellung hatten sich also ausgezahlt. Ich wusste, dass ich es eines Tages schaffen würde.“

In der abgelaufenen Saison 2023/24 absolvierte Hamblin mehr Spiele in der NHL (31) als in der AHL (13) und stand zwischen November und Januar im NHL-Kader.

„Es war immer eine Ehre und ein Privileg, dieses Trikot tragen zu dürfen“, sagt Hamblin. „Ich bin als Viertreihen-Spieler reingerutscht. Meine Rolle war so definiert, dass ich ein paar gute Wechsel fahre, in allen drei Zonen präsent bin, den Puck tief spiele und zur Offensive beizutrage. Ich denke, dass ich einen guten Job gemacht habe. Darauf möchte ich aufbauen.“

Ein Kuss gen Himmel: Hamblins emotionaler Premierentreffer

Mit 1,75 Metern zählt der Linksschütze eher zu den kleineren Spielern in der Liga. „Ich bin etwas kleiner gebaut und würde sagen, dass ich ein giftiger Zwei-Wege-Stürmer wie Brad Marchand oder Brandon Gallagher bin. Vielleicht bin ich ein kleinerer Spieler, doch ich habe keine Angst in den Ecken oder an der Bande. Ich möchte giftig spielen und viel kämpfen. Manche sagen, dass Marchand eine Ratte ist - ich wäre auch gerne eine.“

Mit diesem Stil erzwang Hamblin sein erstes NHL-Tor am 17. November 2023 auswärts bei den Tampa Bay Lightning. Ein Augenblick für die Ewigkeit.

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„Das war etwas ganz Besonderes. Der ganze Spielzug hatte sich entwickelt: Ich bin im Rennen um den Puck in Tampas Zone eingedrungen, habe meinen Gegenspieler erwischt, ihn zu einem Fehler gezwungen und den Puck an unseren Verteidiger weitergegeben. Als dann der Schuss kam, ist die Scheibe zu mir gesprungen. Danach weiß ich nicht mehr viel, ich war einfach nur froh, dass der Puck reingegangen ist“, beschreibt Hamblin die unvergessliche Szene, gefolgt von einem bedeutungsvollen Torjubel: „Meine Mama ist 2017 an Krebs gestorben. Ich habe mein Herz-Tattoo mit ihrem Namen dreimal angetippt, zum Himmel gezeigt und einen Kuss hochgeschickt. Es war sehr emotional. Ich hatte das lange vorbereitet und wollte es schon immer genau so machen und ihr mein erstes Tor widmen.“

Mitspieler und Fan: „Wie ein Cheerleader auf der Bank“

Seinem Beruf geht Hamblin mit viel Leidenschaft und Herz nach. Auch als überzähliger Spieler beim Stanley Cup Finale fieberte er immer mit und sprang bei Toren auf.

„Es war extrem intensiv für mich. Ich bin ja nicht nur Spieler, sondern auch nach wie vor Fan der Oilers“, beschreibt seine kuriose Situation Hamblin. „Es war verrückt, in einem Stanley Cup Finale hier zu sein. Das hatte ich noch nie erlebt. Ich wollte so sehr, dass wir gewinnen, nicht nur für die Jungs in der Kabine, sondern für die gesamte Stadt.“

Dass Hamblin mit Superstars wie Connor McDavid oder Leon Draisaitl arbeiten darf, ist für ihn die Kirsche auf der Sahnetorte.

„Es ist richtig cool, ihre Entwicklung jeden Tag zu sehen. Auch wie sie sich im Training oder neben dem Eis verhalten. Manchmal fühle ich mich wie ein Cheerleader auf der Bank“, lacht Hamblin. „Es ist toll diese Vollprofis auf und neben dem Eis zu sehen. Sie habe ich mir zum Vorbild gemacht. Früher habe ich sie noch im TV bewundert, jetzt sehe ich sie in der Kabine. Das gibt mir viel.“

Auch Draisaitl wusste nichts von einem „deutschen“ Mitspieler

Draisaitl wusste übrigens ebenfalls nichts von einem verkappten deutschen Mitspieler in seiner Mannschaft. „Leon war genauso überrascht wie du, als ich ihn das erste Mal auf Deutsch angesprochen habe“, grinst Hamblin. „Es gibt auch eine lustige Geschichte dazu: Ich habe ihm gegenüber mal erwähnt, dass ich Deutsch spreche, er hatte es aber wohl wieder vergessen. Bei einem Frühstück in Nashville hat Leon dann mit jemanden aus Deutschland telefoniert. Ich habe daraufhin etwas auf Deutsch zu ihm gesagt. Er war total erstaunt und hat gesagt: 'Ach du bist der Junge, der mich verstehen kann.‘“

Seitdem haben sich zwischen Draisaitl und Hamblin sogar ein paar Rituale etabliert. „Wenn wir aufs Eis gehen, sagen wir zum Beispiel 'Arbeitszeit' oder 'Los geht’s' oder ein paar andere kleine Dinge hier und da. Wir unterhalten uns oft auf Deutsch. Leon ist eine tolle Person, ein guter Führungsspieler, sehr fokussiert und bringt jeden Tag diese deutschen Tugenden mit. Er ist immer top-vorbereitet, immer der Erste an der Eisfläche und nimmt keinen Tag frei. Das habe ich mir von ihm abgeschaut.“

Wiedersehen auf dem Eis?

Über den Sommer hat sich Edmonton insbesondere in der Tiefe im Sturm stark verbessert. Die Kaderplätze werden also hart umkämpft sein.

„Ich denke, wir haben uns gut verstärkt“, so Hamblin. „Das ist spannend und eine gute Herausforderung für mich. Als Organisation ist es gut, diesen Konkurrenzkampf zu haben, das macht uns alle besser. Ich werde so hart wie möglich daran arbeiten, es in die Mannschaft zu schaffen. Ich bin sehr motiviert und will unbedingt dabei sein.“

Ein Wechsel in die DEL käme für ihn noch nicht in Frage. „Ich möchte so lange wie möglich in Nordamerika spielen, gerne noch zehn oder mehr Jahre. Vielleicht könnte die DEL irgendwann eine Option sein.“

Für die kommende Saison 2024/25 möchte sich Hamblin mit den Oilers erneut fürs Stanley Cup Finale qualifizieren. Für uns würde das hoffentlich die nächste Zusammenkunft bedeuten.

„Ich hoffe wirklich sehr, dass wir uns auf dem Eis treffen werden, nachdem Edmonton den Stanley Cup gewonnen hat“, sagt Hamblin. „Ich habe vollstes Vertrauen in mein Team. Mal schauen, ob wir es wieder so weit schaffen. Die Oilers haben das Zeug, um zurückzukehren!“