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Philipp Graubauer ist bekannt für viele teils spektakuläre Saves. Seinen vielleicht wichtigsten Save aber zeigt der deutsche Torwart des Seattle Kraken abseits des Eises: Mit seinem Herzensprojekt „SAFE“ (Save A Forgotten Equine; deutsch: Rette ein vergessenes Pferd) kümmert sich der 32-jährige Rosenheimer um misshandelte Pferde - und zieht daraus eine Menge Energie für seinen Job zwischen den Pfosten.

Erste Anlaufstelle für misshandelte Pferde 

„Es ist eine Auffangstation für misshandelte Pferde“, erklärt Grubauer im exklusiven Gespräch mit NHL.com/de die Non-Profit-Organisation etwa 15 Minuten außerhalb von Seattle. „In den letzten zwei Jahren habe ich geholfen, große Events zu organisieren. Meine Freundin und ich haben auch Sponsoren mit an Bord geholt, damit wir so viele Pferde wie möglich aufnehmen können.“

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Anders als in Deutschland gibt es in den USA viele wilde Pferde. Doch Hilfe benötigen auch Tiere, die bereits unter Menschen leben. In vielen herzzerreißenden Härtefällen ist SAFE die erste Anlaufstation.

„Mal ruft ein Nachbar an und sagt, dass er immer wieder an einem Hof vorbeifährt, an dem ein Pferd angebunden ist und bis zu den Knien im Mist steht. Bei manchen Tieren sind die Hufe wirklich kaputt, andere bekommen nichts zu essen und sind nur noch Haut und Knochen. Du weißt gar nicht mehr, ob es ein Gerüst ist oder noch ein Pferd. Das sind teilweise wirklich schreckliche Zustände“, beschreibt Grubauer kritische Situationen. 

Doch damit nicht genug: „Das BLM, das Bureau of Land Management, treibt auch wilde Pferde zusammen. Wenn diese nicht in einer bestimmten Zeit adoptiert werden, werden sie erschossen. Wir haben auch Fälle, wo bereits adoptierte Pferde-Besitzer nicht mehr weiterwissen oder wenn Angehörige versterben und Pferde vererbt werden.“

SAFE hat sich auf die Fahnen geschrieben, diese Tiere aufzunehmen, aufzupäppeln, um sie irgendwann wieder zur Adoption freizugeben.

„Unser Ziel ist, den Pferden ein besseres Leben zu ermöglichen, dass sie wieder Pferd sein können“, erklärt Grubauer. „Deshalb gehen sie bei uns durch ein Programm, denn es dauert, bis das Vertrauen zwischen Menschen und Pferd wiederhergestellt ist. In der ersten Woche geht es meist ums nackte Überleben. Einige Pferde schaffen es nicht, weil sie teilweise sehr krank sind. Da geht es in den ersten zwei, drei, vier Tagen um alles. Wir haben auch einen Pferdeflüsterer, der immer wieder zu uns kommt. Er weiß, wie man mit wilden Pferden arbeitet und trainiert diese bei uns vor Ort. Das ist ein sehr zeitaufwändiges Thema und immer mit viel Arbeit verbunden.“

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Keine Star-Allüren beim Stanley Cup Champion: Ausmisten statt Auffallen

Grubauer selbst ist einer von rund 150 Freiwilligen, die ihre Freizeit opfern, um diesen Tieren in Not zu helfen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob ein Stanley Cup Champion zur Mistgabel greift oder jemand anderes.

„Ich mache die ganze Arbeit an der Seite, wie den Stall auszumisten, die Anlagen zu reparieren oder was sonst so anfällt“, sagt Grubauer. „Das Schönste ist, die Transformation der Pferde zu sehen, wie sie plötzlich aufblühen, wieder Spaß und Lebensenergie versprühen. Es ist viel Arbeit, aber die machen wir gerne, weil wir so viele Tiere retten wollen, wie möglich. Jedes Pferd ist anders, sie sind kaum miteinander zu vergleichen. Das eine ist sensibler, das andere zugänglicher. Ein gewisses Knowhow zu erlernen und zu wissen, wie man in gewissen Situationen mit Pferden umgeht, ist eine extrem schöne Erfahrung.“

Die Vermittlungszahlen sind eine schöne Bestätigung für Grubauer & Co.: „Wir haben damit sehr großen Erfolg“, betont der Nationalspieler stolz. „Vor der letzten Hockey-Saison hatten wir 42 oder 43 Pferde bei uns, am Saisonende waren es nur noch 13. Es konnten also viele Pferde adoptiert werden.“

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Was viele vergessen ist, dass die Dimensionen bei Pferden andere sind als etwa bei Hund oder Katze. Je nach Rasse bringen diese Kraftpakete gerne zwischen 400 und 700 Kilogramm auf die Waage.

„Ich habe da schon Respekt, aber keine Angst“, so Grubauer. „Ein Pferd will dir nichts Böses, aber es sind große und sehr schwere Tiere. Es kann böse ausgehen, wenn du schlecht stehst. Deshalb versuche ich immer, die Situation zu kontrollieren. Deshalb versuche ich immer, eine ruhige Energie auszustrahlen, immer im Moment und dem Pferd einen Schritt voraus zu sein: Was passt ihm nicht? Was könnte ihm Angst machen? Man muss bei Pferden immer ruhig sein. Wenn du selbst nervös bist, ist es das Pferd auch.“

Pferde auf der Goalie-Maske

Genau hier besteht eine Verbindung zu seinem Beruf, denn Grubauer kann sich von der Arbeit mit Pferden eine Menge für sein Torwartspiel in der besten Eishockey-Liga der Welt abschauen.

„Das kann man schon sehr gut vergleichen“, findet der Kraken-Goalie. „Deshalb habe ich Pferde auf meiner Maske: Im Stall bist du auch ruhig. Auf dem Eis spielen wir nur Eishockey, es geht nicht um Leben und Tod. Daran möchte ich mich erinnern. Auch das Im-Moment-Sein ist etwas, was es beim Eishockey gibt. Etwa in Szenen, in denen du emotional bist, wenn es eine Strafzeit gibt oder du ein Gegentor bekommen hast. Da ist dann alles hektisch. Durch die Arbeit mit Pferden bin ich in solchen Momenten viel ruhiger geworden. Hinzu kommt: Durch das Reiten und das Stehen im Sattel kannst du ganz andere Muskelgruppen trainieren, die dir auf dem Eis weiterhelfen.“

Überhaupt konnte der Rosenheimer viel von diesen Tieren lernen. Nicht nur als Mensch, sondern auch als Hockey-Torwart. „Du musst deine Emotionen immer kontrollieren. Hast du mal einen schlechten Tag und bist aufgeregt, dann ist es das Pferd auch. Das ist ein positiver Gegenpol zum Eishockey: Da ist alles sehr schnell und emotional. Das Erste, was ich gelernt habe, ist, ruhig zu bleiben. Das zweite ist, die Natur zu genießen. Weg vom Handy, weg von allen anderen Sachen.“

Tucker: Ein „Pferde-Opa“ für den „deutschen Cowboy“

So verwundert es nicht, dass Grubauer seit anderthalb Jahren ein eigenes Pferd hat, das unweit der SAFE-Stallungen steht.

„Er heißt Tucker“, erzählt Grubauer, in dessen Stimme viel Stolz mitschwingt. „Er ist ein American Bay Quarter Horse und mittlerweile 19 Jahre alt. Er kam von unserem Pferdeflüsterer Joel von einer Ranch in Montana zu mir. Er ist groß, aber gleichzeitig zahm und ruhig. Ich kann ihm voll vertrauen.“

Die Begeisterung zu diesen Tieren entwickelte Grubauer bereits in der Kindheit. „Ich habe mich schon immer für Pferde interessiert. Wo ich aufgewachsen bin, außerhalb von Rosenheim, gab es viele Bauern und Pferde und auch einen Reitstall gleich ums Eck. Pferde haben mich immer fasziniert. Ich fand sie schon immer schön und wollte eines haben, nur um es zu streicheln.“

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Mit dem Wechsel von den Washington Capitals zur Colorado Avalanche blühte diese alte Liebe wieder auf. „Ich habe im ‚Wilden Westen‘ gespielt, mit dieser unglaublichen Landschaft. Ein Kumpel von mir hat eine Ranch in Colorado mit 110 Pferden. Eines Tages haben wir einen Ausritt gemacht. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich mehr wissen wollte über den Umgang mit Pferden und was dahintersteckt. Schon in Colorado habe ich immer eine Auffangstation besucht. Als ich in Seattle unterschrieben hatte, habe ich direkt dort vorbeigeschaut und das Projekt als Volontär unterstützt.“

Nicht ohne Grund erhielt der Deutsche in Seattle den Kosenamen „German Cowboy“. „Das passt“, lacht Grubauer. „Das ist doch schön, ein cooler Spitzname. Es ist auch mein Ziel, nach dem Eishockey in meiner Rente eine Ranch aufzubauen, auf der man ein paar Tage übernachten und zusammen ausreiten gehen kann. Am besten mit einer Klinik und einem Trainingslager für Leute, die mit Pferden Probleme haben oder sich verbessern wollen. Ich will diesen American-Cowboy-Lifestyle erhalten.“

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Hockey und Pferd unter einem Hut

Bis dahin will die Nummer 1 der Kraken noch viele Saves zeigen. Dazu zählen nicht nur entschärfte Pucks auf dem Eis, sondern auch gerettete Pferdeleben. Beide Leidenschaften hat der Torwart trotz einer 82-Spiele-Saison in seinen Alltag integriert.

„An spielfreien Tagen bin ich eigentlich immer im Stall. In die Auffangstation schaffe ich es nicht so oft, das Gute ist aber, dass sie auf dem Weg zu meinem Pferd liegt, ich also immer wieder vorbeischauen kann. Im Sommer bin ich jeden zweiten Tag bei SAFE, während der Saison kommt es immer auf den Spielplan an. Ich muss mich natürlich auch auf das fokussieren, was auf dem Eis passiert.“